Jacqueline Brüschke ist Leiterin des degewo-Fachbereichs bauWerk. Im Rahmen des Stadtumbaus Ost hat sie Berlin nach der Wiedervereinigung aktiv mitgestaltet. Im Interview erzählt sie, wie sie diese Zeit erlebt hat und was sie heute noch an ihrer Arbeit begeistert.
Wie fühlt es sich wohl an, durch Berlin zu spazieren, wenn man an der Gestaltung der Stadt maßgeblich beteiligt ist? Jacqueline Brüschke muss es wissen. Als Leiterin des degewo-Fachbereichs bauWerk für Neubau und Sanierung bringt sie in ihrer täglichen Arbeit verschiedendste Bedürfnisse unter einen Hut. Wir haben mit ihr über Verantwortung, Veränderung und die Vergangenheit in Form des Stadtumbaus Ost gesprochen.
Berlin im Wandel: Stadtumbau Ost
Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 war Berlin im Umbruch. In der ehemaligen DDR standen viele Wohnungen leer, viele der bisherigen Bewohnerinnen und Bewohner wagten anderswo einen Neuanfang. Um den hohen Leerstand entgegenzuwirken und die Lebens-, Wohn- und Arbeitsqualität zu verbessern, wurde im Jahr 2001 das Bund-Länder-Programm „Stadtumbau Ost“ verabschiedet.
Besonders vom Leerstand betroffen war die Großsiedlung Marzahn in Ost-Berlin. Die Bevölkerung ging hier in den Jahren 1995 bis 2000 um ein Fünftel zurück. Der Plattenbau hatte keinesfalls ein Imageproblem. Er entsprach nur nicht mehr den gewachsenen Ansprüchen der Mieter und der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Geburtenrate sank, die ehemals nachgefragten 4- bis 5-Raumwohnungen waren kaum noch gewünscht, innen liegende Bäder und Küchen – typisch für den Plattenbau – sowie fehlende Loggien wenig attraktiv. Das Angebot an Wohnungen übertraf die Nachfrage bei Weitem. 2001 standen rund 6.600 Wohnungen und damit elf Prozent des damaligen Bestandes in der Marzahner Großsiedlung leer.
Ein neues Gesicht für Marzahn
2002 übernahm degewo die angeschlagene, landeseigene Wohnungsbaugesellschaft (WBG) Marzahn und war dadurch federführend im Stadtumbau Ost. Es folgten gezielte, situationsbedingte Stadtumbauprojekte. Wohngebäude, die langfristig keine Vermietung mehr erwarten ließen, wurden demontiert. Das betraf vor allem die in Marzahn zahlreich vorhandenen Hochhäuser mit elf, 18 oder mehr Geschossen.
Im Falle anderer Wohnanlagen entschied sich degewo statt eines Komplettabrisses für eine grundlegende Modernisierung, um der älter werdenden Bevölkerung Marzahns gerecht zu werden, und baute diese seniorengerecht um. Im Norden des Bezirkes setzte das Wohnungsunternehmen hingegen auf die Reduzierung der Geschosszahl. Grundrisse wurden den neuen Bedürfnissen angepasst, großzügige Dachterassen gebaut, Mietergärten angelegt. Die so entstandenen Ahrensfelder Terrassen mit ihrer abgestuften Bauweise führten vor Augen, dass ein Plattenbau viele Gesichter haben kann.
Jacqueline Brüschke: Aus Berlin, für Berlin
Eine zentrale Rolle beim Stadtumbau Ost in Berlin hatte damals Jacqueline Brüschke. Bis zur Übernahme der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn mbH durch degewo im Jahr 2002 war sie dort in der Projektsteuerung im Bereich Neubau tätig. Im Zuge der Umstrukturierung übernahm sie die leitende Position bei bauWerk, die sie bis heute innehat.
degewo | Was hat Sie damals dazu bewegt, Bauingenieurin zu werden?
Jacqueline Brüschke | Ich habe schon während meiner Schulzeit gerne praktisch gearbeitet und hatte früh den Wunsch, Bauingenieurin zu werden. Nachdem ich 1989 mein Studium im Bereich Wohnungs-, Industrie- und Landwirtschaftsbau in Bukarest abgeschlossen hatte, arbeitete ich bis 1994 in verschiedenen Bauplanungs- und Projektsteuerungsbüros in Berlin. Danach wechselte ich zur WBG und kam dann zu degewo.
Das Bauen verbindet Sie also schon seit über 30 Jahren mit unserer Haupstadt?
Ich bin in Berlin geboren und habe nach dem Studium ausschließlich in und für Berlin gearbeitet. Daher ist meine persönliche und berufliche Bindung sehr stark. Als ich nach dem Studium, direkt nach der Wende, nach Berlin zurückkam, hatte sich für mich eine neue Welt eröffnet. Alles war im Umbruch und alle waren voller Ideen. Es war für mich sehr spannend, ein Teil davon zu sein und etwas dazu beitragen zu können.
Wenn Sie durch die Stadt schlendern und sich umschauen, haben Sie sicherlich einen geschulteren Blick als die meisten anderen Passantinnen und Passanten. Mit der „Architektenbrille“ fallen Ihnen gewisse Dinge auf. Beurteilt man dann Gebäude anders, zum Beispiel, was ihre Schönheit angeht?
Die Schönheit eines Gebäudes hängt für mich erst in zweiter Linie vom „Äußeren“ ab. Wichtiger sind mir andere Aspekte: zum Beispiel, wie ein Gebäude das Leben und die Stadt prägt. Meine kleine Leidenschaft sind daher die Siedlungen der 1920er- und 1930er-Jahre. Natürlich auch wegen der Architektur, aber vor allem, weil sie Heimat für Menschen schaffen. In der damaligen Bauhaus-Ära wurde viel darüber nachgedacht, was die Mieterinnen und Mieter zum Leben brauchen. Diese Art von Nachhaltigkeit ist mir beim Bauen besonders wichtig.
Wir sind degewo. In Berlin. Für Berlin. Seit 100 Jahren.
Damit unsere Wohnungen und Quartiere nicht nur Aufenthaltsort, sondern Heimat sind, arbeiten jeden Tag engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei degewo daran, Berlin lebenswerter zu machen. Und das seit mittlerweile 100 Jahren.
Das zeigt auch gut, wie viel Verantwortung im Bauen steckt.
Auf jeden Fall, Wohnungsunternehmen gehören zu den wichtigsten Akteuren einer Stadt. Insbesondere die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften wie degewo haben einen enormen gesellschaftspolitischen und sozialen Auftrag. Wenn wir bauen oder sanieren, bekommen wir die Rückmeldungen der dort lebenden Menschen unmittelbar mit und müssen sie berücksichtigen. Die Herausforderungen und die Verantwortung, die damit verbunden sind, machen diese Arbeit für mich zu etwas Besonderem. Als Architektin oder Bauingenieurin hat man selten die Möglichkeit, ein so direktes Feedback auf seine Arbeit zu bekommen. Das bietet auch die Chance, sich fachlich und persönlich weiterzuentwickeln.
Eine der verantwortungsvollsten Aufgaben in Ihrer Laufbahn war sicherlich der schon eingangs erwähnte Stadtumbau Ost. Können Sie uns verraten, wie Sie dieses Mammutprojekt wahrgenommen haben?
Schon während meiner Zeit bei der WBG konnte ich beobachten, wie sich Quartiere entwickeln, im Positiven wie im Negativen. So habe ich miterlebt, wie der Leerstand und auch die Missstände in vielen Objekten in Ost-Berlin zunahmen. Ich war dabei, als klar wurde, dass Lösungen gefunden werden müssen und habe die Teamleitung im Stadtumbau Ost übernommen, ohne zu wissen, was auf mich zukommt. Für mich war das eine sehr spannende Zeit.
Bei der WBG waren Sie vor allem für den Neubau zuständig. Beim Stadtumbau Ost ging es dann um Bestandsimmobilien und Stadtentwicklung. Wie war dieser Kontrast für Sie?
Spannend war für mich vor allem, wie viele Dinge bei diesem Projekt berücksichtigt werden mussten. Der Stadtumbau Ost betraf ganz Marzahn-Hellersdorf, ganz Berlin und hatte auch bundesweite Auswirkungen. Es gab also auch eine gesellschaftliche und politische Dimension zu berücksichtigen. Ich hatte das Glück, von Anfang an dabei zu sein, alle relevanten Diskussionen mitzubekommen, zu verstehen und daraus Konzepte zu entwickeln.
Was haben Sie persönlich daraus mitgenommen?
Der Stadtumbau Ost war ein besonderes Projekt. Zum einen wegen der Größe, zum anderen aber auch wegen der Betroffenheit. Natürlich ging es um das Bauen, um technische Themen, die ich lernen durfte und die ich auch selbst vorangetrieben habe. Was mich aber besonders geprägt hat, war der soziale Aspekt des Projektes. Es gab knapp 5.000 Wohnungen, die damals vom Markt genommen oder umgewandelt wurden. In jeder Wohnung gab es Mieterinnen und Mieter, Familien, Einzelschicksale. Die Maßnahmen aus der Sicht der Nutzerinnen und Nutzer zu sehen und dadurch zu verstehen, für wen oder was man eigentlich baut, hat mich bis heute geprägt.
Wie ist dieser Perspektivwechsel gelungen?
Bei diesem Projekt wurde Wert auf eine transparente Kommunikation gelegt, insbesondere gegenüber den Mieterinnen und Mietern. Die Betroffenen wurden von uns persönlich angeschrieben und zu einer Mieterversammlung eingeladen. Das war auch für mich eine prägende Erfahrung, weil ich dort direkt mit den Gefühlen der Betroffenen in Kontakt gekommen bin. Wie man sich vorstellen kann, gab es nicht nur Freude, was mich auch sehr berührt hat. Außerdem haben wir zusammen mit der Vermietungsabteilung sogenannte „Couchgespräche“ geführt. Dabei sind wir zu den Mieterinnen und Mietern nach Hause gekommen. An diese Gespräche erinnere ich mich heute noch sehr lebhaft. Diese Momente lösen bei mir immer noch starke Emotionen aus.
Wie haben Sie es geschafft, dass sich schlussendlich niemand benachteiligt fühlte?
Natürlich gab es auch Leute, die mit den Maßnahmen nicht zufrieden waren. Aber dieses Feedback hat uns im Prozess sehr geholfen. Hier waren vor allem die persönliche Begleitung und Aufklärung entscheidend. Uns war aber auch klar, dass wir den Menschen etwas Konkretes geben müssen. Deshalb haben wir die Betroffenen beim Umzug unterstützt. Wir haben ihnen neue Wohnungen zur Verfügung gestellt, ohne dass sie dafür mehr Miete zahlen mussten, und wir haben ihnen dabei geholfen, die Wohnung wieder so herzurichten, wie sie vorher war. Zum Glück hatte ich auf unserer Seite nur mit Menschen zu tun, die diese Versprechen sehr ernst genommen haben. Da wurde der Beruf zur Berufung, weil man so nah dran war.
Das klingt sehr intensiv. Wie sehen Sie den Stadtumbau Ost im Rückblick? War er ein Erfolg?
Ich war von Anfang an davon überzeugt, dass der Ansatz richtig ist. Es ist gelungen, die vom Abriss betroffenen Flächen zu begrünen oder neu zu bebauen. Für den Teilrückbau konnten wir interessante Konzepte entwickeln, wie zum Beispiel die Ahrensfelder Terrassen. Diese Projekte haben gezeigt, dass es beim Stadtumbau Ost nicht darum geht, in Marzahn alles platt zu machen, sondern dass wir an Marzahn glauben und dass der Bezirk eine Zukunft hat. Die Veränderungen waren notwendig, um Marzahn nachhaltig für unterschiedliche Menschen attraktiv und lebenswert zu machen.
Für eine solche Aufgabe braucht man doch sicherlich eine Art Kompass, der einen leitet. Haben Sie gewisse Werte oder Prinzipien, die Sie bei Ihrer Arbeit begleiten?
Wenn ich es auf bestimmte Begrifflichkeiten reduzieren müsste, wären das: eine hohe Fachkompetenz, ehrliche Emotionalität und absolute Rationalität, gepaart mit der Eigenschaft, immer neugierig und offen für neue Ideen zu bleiben. Außerdem habe ich gelernt, dass jedes Projekt von den Menschen lebt und immer dann erfolgreich ist, wenn die Beteiligten und Betroffenen gut eingebunden sind.
Was sind ihre ganz persönlichen nächsten Ziele?
Beruflich steht für mich in Zukunft das Thema Nachhaltigkeit ganz oben auf der Agenda, sowohl bei Neubauten als auch bei Sanierungen. Das ist mir auch persönlich ein großes Anliegen und etwas, das mich sehr bewegt. Ich möchte bei degewo daran arbeiten, dies mit jedem Projekt ein Stück weiter voranzutreiben.