Rund 80 Gebäude von degewo stehen unter Denkmalschutz. Doch was bedeutet das? Unsere Readaktion schaute sich an der Schlangenbader Straße um.
Der Weg zur „Schlange“ führt durch sie hindurch. Kurz vor dem Breitenbachplatz verschwindet die Stadtautobahn A 100 in einem Koloss von Gebäude, um am anderen Ende wieder aufzutauchen. Wer direkt vor dem großen Bau steht, kann Anfang und Ende der 600 Meter langen Fassade nicht erkennen: zu weit weg. Und innen? Gänge, breit genug zum Fußball spielen. Quietschgelbe Briefkästen. In kräftigem Rot und Blau gehaltene Tür- und Fensterrahmen. Willkommen im degewo-Gebäude in der Schlangenbader Straße: Willkommen in einem lebenden Denkmal.
Das weltweit einmalige Ensemble entstand 1973 bis 1980 als Autobahnüberbauung. 2017 wurde es offiziell unter Schutz gestellt, am zweiten Septemberwochenende ist es erstmals Teil des „Tag des offenen Denkmals“. Doch was ist das eigentlich? Ein Denkmal?
Hausmeister Frank Trapp führt durch einen der langen Gänge. Für ihn ist die Sache einfach: „Sanieren heißt, mit dem Vorschlaghammer rein. Beim Denkmalschutz wird erst einmal die Farbe von der Wand gekratzt und untersucht.“ Bernhard Kohlenbach vom Landesdenkmalamt muss lachen. Als Experte sieht er die Sache naturgemäß komplizierter. Ein Gebäude wird nicht einfach zum Denkmal, nur weil es alt ist. „Ein Denkmal muss ein Geschichtszeugnis sein“, sagt Bernhard Kohlenbach. Es muss also von der Zeit erzählen, in der es geplant und gebaut wurde. Wer in ein Denkmal eintaucht, begibt sich auf Zeitreise. Welche Ideen vom Bauen und vom Wohnen hatte man damals? Und: Muss ein Denkmal schön sein? „Was schön ist, darüber gehen die Meinungen auseinander“, sagt Bernhard Kohlenbach und schaut an den aufsteigenden Terrassen des 14-stöckigen Gebäudes empor. „Was denkmalwürdig ist, kann man schon eher begründen.“ Ob ein Bau zum Denkmal taugt, untersuchen Bau- und Architekturhistoriker sehr gründlich. Im Fall der Schlangenbader Straße war sogar eine Garten-Denkmalpflegerin beteiligt.
Das Gutachten der Experten war in diesem Fall so ausführlich, „dass man ein Buch daraus hätte machen können“, sagt Kohlenbach. Als diese Arbeit nach rund zwei Jahren beendet war, wurde das Gebäude vom Landesdenkmalamt in die Denkmalliste des Landes Berlin eingetragen. Das hängt mit seiner Einzigartigkeit für die Architekturgeschichte zusammen. Obwohl es in den 1960er-Jahren weltweit viele Ideen für die autogerechte Stadt und Ideen für Autobahnüberbauungen gab, wurde kein einziger dieser Pläne umgesetzt. Nur hier, in Berlin-Wilmersdorf. In der speziellen Situation des ummauerten West-Berlin wurde so dringend Wohnraum gebraucht, dass man das Wagnis des komplizierten Baus einging.
So entstand das „Wohngebirge“ mit 1.759 Wohnungen, „ein Beispiel für die Megastrukturen der 1960er- und 70er-Jahre“, wie es bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung heißt. Viele Gebäude aus den Siebzigern geraten heute in den Fokus der Denkmalpfleger: Was eben noch als hässlich galt, ist heute Zeugnis der Architekturgeschichte. Dieses Zeugnis schützt auch degewo. Aus guten Gründen.
„Die Denkmalschutz-Plakette erhöht den Wert des Gebäudes. Wir freuen uns, wenn so etwas passiert“, sagt Maik Welzel, Abteilungsleiter Sanierung bei degewo, „außerdem tragen wir so dazu bei, die städtische Baukultur und ein wichtiges Erbe für die Stadt zu erhalten.“ Etwa 80 degewo-Gebäude stehen unter Denkmalschutz. Darunter Ikonen wie die „Schlange“ oder die Wiesenburg und Wohnensembles wie der Schillerhof. Besonders viele degewo-Gebäude stehen in Köpenick unter Denkmalschutz und prägen das Bild des Bezirks.
Doch zurück zur Schlange: Wenn ein Gebäude auf der Denkmalliste des Landes eingetragen ist, wird im Fall von anstehenden Sanierungen oder größeren Instandhaltungen ein sogenannter Denkmalpflegeplan erstellt. Weil diese detaillierten Untersuchungen im Fall des riesigen Gebäudes so aufwendig sind, wird es wohl bis Ende 2019 dauern, bis das beauftragte Büro den Plan erstellt hat. Auch hier sind wieder Experten gefragt: Die Architekten müssen sich besonders gut mit den verbauten Materialien auskennen und wissen, wie diese wiederbeschafft werden können. Und tatsächlich: Die Architekten kratzen sogar die Wände ab, um festzustellen, welche Farbe ursprünglich benutzt wurde.
Nicht alle Mieter sind begeistert, dass der Bau nun im Stil der 1980er-Jahre erhalten bleiben soll. Andere setzten sich seit Langem dafür ein, dass das Gebäude nach Plänen der Architekten Georg Heinrichs, Gerhard Krebs und Klaus Krebs offziell einen Schutzstatus genießt. Wird in der Schlangenbader Straße zukünftig saniert, müssen die Farben, in denen das Gebäude gehalten ist, beibehalten werden: das kräftige Blau oder Gelb für die Fensterrahmen etwa. Für die Fassade muss eine weiße Eternitplatte ohne Asbest gewählt werden. Wer das Erscheinungsbild vorher nicht mochte, mag es hinterher nicht lieber. Aber bei allem gilt, was Bernhard Kohlenbach sagt: „Moderne Wohnbedürfnisse sollen berücksichtigt werden. Es ist nicht so, dass wir eine Käseglocke rüberstülpen und überhaupt nichts mehr verändert werden darf.“
Das wird auch für die Schlange gelten. Ihre Bewohner wird es freuen. Rund ein Zehntel der Mieter lebt hier seit den 1980er-Jahren. Und wer umzieht, tut das gerne innerhalb des Gebäudes. Hausmeister Frank Trapp schwärmt beim Rundgang geradezu: „Das Haus ist ein Wunderbau.“