Von der Weide zum Siedlungsbau: Wir begeben uns auf eine kleine Zeitreise durch Oberschöneweide im Bezirk Treptow-Köpenick. Drei Buchstaben sind unweigerlich mit der Entwicklung des Ortsteils verbunden: AEG. Die gelben Ziegelfassaden der Werksgebäude prägen noch heute das Straßenbild.
Wo im 19. Jahrhundert auf der „Schönen Weyde“ Kühe und Schafe genüsslich in frisches Gras bissen und das Weideland genossen, findet man heute zahlreiche geschichtsträchtige Wohnquartiere vor. Oberschöneweide ist unter dem Einfluss der Bauhaus-Architektur zu einem beliebten Ortsteil für viele Städterinnen und Städter herangewachsen – Tiere sind aber auch nach wie vor willkommen.
AEG: Berliner Produktionsstätte der Elektro-Industrie
Ab 1895 begann der kometenhafte Aufstieg der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft (AEG) unter Emil Rathenau. Dass in Oberschöneweide eines Tages das größte zusammenhängende Industriedenkmal Europas stehen wurde, ahnte zu dieser Zeit noch niemand, nur einige hundert Menschen wohnten damals überhaupt in dieser Gegend. Der Bebauungsplan für das Weideland Oberschöneweide sah 1902 lediglich einen Dorfplatz, Schulen, ein Postamt und eine evangelische sowie eine katholische Kirche vor. Als eines der ältesten, erhaltenen Wohnhäuser in Oberschöneweide gilt die bescheidene zweigeschossige Villa von Carl Deul, die in der Edisonstraße 15 zu finden ist. Nach einigen Einzelbauten wurden vermehrt größere Wohnanlagen errichtet.
Wohnungen für die Industriebeschäftigten
Doch der Bedarf an Wohnungen wurde zunehmend größer, denn immer mehr Menschen arbeiteten in den Werksanlagen der AEG in Oberschöneweide. Zahlreiche Angestellte und Arbeiterinnen und Arbeiter brauchten ein neues Zuhause. In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, in der Berlin zur Metropole aufstieg, stellten sich die Architekten nun die Frage, wie die Stadt der Zukunft aussehen könnte und wie Menschen leben sollten.
Sachliches Bauen in Oberschöneweide
Im 1919 von Walter Gropius in Weimar gegründeten Bauhaus, wo Kunst und Bauen plötzlich aufeinandertrafen, entstand eine völlig neue Form des Bauens. In Oberschöneweide begann der Architekt Peter Behrens, ein Pionier der sachlichen Architektur, zu der auch das Bauhaus zählt, im selben Jahr und im Auftrag der AEG mit dem Bau eines Häuserblocks für die Angestellten. Wo um 1890 bloß 159 Bewohner in Oberschöneweide lebten, stiegen die Einwohnerzahlen bis in die 1930er auf rund 30.000 Menschen.
Vom Teekessel bis zum Fabrikbau: Peter Behrens
Peter Behrens selbst beschäftigte sich neben der Architektur auch mit Kunst und Design und war nicht nur maßgeblich für zahlreiche Häuser verantwortlich, sondern gilt außerdem als Erfinder des Corporate Designs. Er sorgte im Auftrag der AEG neben modernen Fabrikbauten und Wohnsiedlungen auch für die einheitliche Gestaltung vom Briefbogen bis zum Teekessel. Wer auf Spurensuche der Werke von Behrens gehen möchte, kann sich zum Beispiel an der Roedernstraße Ecke Zeppelinallee umschauen und die Siedlung Oberschöneweide besuchen.
Geprägt vom Bauhaus: Jean Krämer
Auch die Fontanehofsiedlung in Oberschöneweide, heute ein Gebäude von degewo, zeichnet diese Architektur zwischen Expressionismus und Moderne aus. Klare Linien und Aufteilung stehen im Vordergrund, abgerundet durch ein rötliches Ziegeldach. Für die Bewohnerinnen und Bewohner gibt es einen Garten im Hof und die Möglichkeit Obst und Gemüse anzubauen, ein Luxus für die damalige Arbeiterklasse. Für mehr Details zur Geschichte lohnt sich eine Stadtführung, meint auch Stadtführerin Claudia Häuser-Mogge: „Hier reiht sich die Geschichte des modernen Siedlungsbaus auf wie an einer Perlenkette.“
Die Schillerpromenade: Unverkennbarer Architekturstil
Keine 500 Meter entfernt findet sich in der Schillerpromenade 12 ebenfalls ein eindrucksvolles Gebäude dieser Ära, mit dem Architekt Jean Krämer (nach dessen Entwurf auch die Fontanehofsiedlung gebaut wurde) Stadtbildgeschichte schrieb. Krämer, der als Leiter des Ateliers von Peter Behrens auch Mies van der Rohe, Walter Gropius und Le Corbusier zu seinen Kollegen zählen konnte, entwickelte hier seinen ganz eigenen Architekturstil.
Nach dem Ersten Weltkrieg war der Bedarf an neuem Wohnraum groß und die Mittel knapp, Krämer arbeitete so mit einfachen Elementen und schuf dennoch ein repräsentatives Wohnhaus in der Schillerpromenade. Symmetrie und Kontraste spielen hier eine große Rolle, sowie die auffälligen Erker in Erd- und Obergeschoss.
Oberschöneweide: Ein ziemlich bunter Kiez
Die gemeinsame Initiative von Land und Bezirk, Stadtplanung und Denkmalpflege, Quartiers- und Regionalbetreuung verlangsamte den Ende der 1980er Jahre beginnenden Bevölkerungsrückgang und hielt ihn schließlich auf. Mittlerweile leben im Ortsteil wieder etwa 23.600 Menschen (Stand: 12.2020).
Inzwischen ist Oberschöneweide auch ein Ort für viele Familien und junge Leute geworden, die gerade in Ausbildung oder Studium stecken und zwischen Spree und Wuhlheide auf Wohnungssuche gehen. Sie schätzen vor allem den Abstand vom Trubel in Mitte oder Kreuzberg und Orte wie die Wuhlheide oder den Kaisersteg, wo alle zusammenkommen und trotzdem entspannen können. Die Jugendlichen haben aber auch noch einige Vorschläge für die zukünftige Gestaltung des Ortsteils:
Viel Natur, viel Spree
Oberschöneweide ist Teil Treptow-Köpenicks, dem Berliner Bezirk mit der meisten Grün- und Waldfläche. Und das merkt man: Grüne Inseln gibt es hier viele – den Volkspark Wuhlheide, den wunderschönen Waldfriedhof Oberschöneweide, den Griechischen Park. In der Wuhlheide lockt das Haus Natur und Umwelt mit seinem Streichelzoo und den vielzähligen Bildungs- und Freizeitangeboten für die Kleinen.
Auch Wasser muss man in Oberschöneweide nicht lange suchen: Die Spree, genau genommen die Oberspree, stellt die natürliche Südgrenze des Ortsteils dar, man blickt aus Oberschöneweide hinüber nach Niederschöneweide und Baumschulenweg. Wenn Sie schon mal in der Gegend sind, lohnt sich auch ein Abstecher über den Fluss: Der alte Rummelplatz Spreepark wird – nicht weit von hier – zu neuem Leben erweckt.