Wenn Schäfer Kucznik durch Berlin zieht, bleiben viele ungläubig stehen, denn er kommt nicht allein. Begleitet von Hütehunden und bis zu 450 Schafen wandert der Schäfer im Dreiländereck Märkisch-Oderland, Barnim und Berlin. Als einer der letzten Wanderschäfer Ostdeutschlands bewahrt er eine jahrhundertealte Tradition – und erfindet sie neu.
Wo später mal gebaut wird, muss die Landschaft gepflegt werden. Wenigstens einmal im Jahr sind Bauherren angehalten, zu mähen, um zu vermeiden, dass die Fläche zuwuchert. Was für die Anwohnerinnen und Anwohner sonst mit viel Lärm einhergeht und die Pflanzen- und Insektenvielfalt zerstört, erledigen Schafe wie seit Jahrhunderten geräuscharm und nachhaltig. So auch in Köpenick: Im Auftrag von degewo war Schäfer Kucznik auf einer unserer Bauflächen unterwegs.
Ein ungewöhnlicher Anblick in der Nachbarschaft
„Die Anwohner waren hellauf begeistert und fanden es eher schade, dass die Schafe nicht für immer da sind“, lacht Schäfer Kucznik. Rund zwei Wochen lang war er mit seinen Schafen auf einer unserer Bauflächen in Köpenick an der Fürstenwalder Allee unterwegs. Eine vom Aussterben bedrohte Haustierrasse, die Ostpreußische Skudde, graste dort gut zwei Wochen lang friedlich vor sich hin. „So einen Anblick kannten viele Leute gar nicht mehr, einige haben sich stundenlang daneben gesetzt und den Schafen beim Weiden zugesehen.“ Wer sich mit Schäfer Kucznik unterhält, bekommt ein Gefühl dafür, was für erstaunliche Tiere Schafe sind. Er brennt für seinen Beruf, der jedoch vor großen Herausforderungen steht.
Biorasenmäher sorgen für eine vielfältige Natur
Wo der elektrische Rasenmäher wütet, bleibt kein Halm stehen. Gräser werden genauso gekappt wie Kräuter und Blumen, und auch Insekten und Kleintiere entkommen den scharfen Messern nicht. Schafe hingegen gehen schonender – und weitaus leiser – vor. Und nicht nur das, sie sind regelrechte Allrounder: Sie mähen, düngen und lockern die Erde auf. „Was ein Schaf kann, kann sonst niemand“, gibt Schäfer Kucznik zu bedenken. Anders als elektrische Rasenmäher machen sie nicht einfach alles platt, was sich ihnen in den Weg stellt, sondern sie fressen mit Maß und lassen genügend Pflanzen stehen, die später noch von Bienen bestäubt werden können. Gleichzeitig düngen sie mit ihrem Kot den Boden. „Und mehr noch“, fügt der Schäfer hinzu. „Viele Pflanzensamen können nur keimen, wenn sie durch den Verdauungsapparat des Schafs gegangen sind.“ Die Hufe der Schafe drücken die Samen dann in den Boden, wo sie sich gedüngt vom Kot in Pflanzen verwandeln.
Einer der letzten Wanderschäfer Ostdeutschlands
Herr Kucznik ist ein sogenannter Wanderschäfer. Das heißt, er zieht mit seiner Herde zu verschiedenen Weidegründen, in seinem Fall am östlichen Stadtrand Berlins, unweit des Berliner Rings. Der Clou: Die Schafe fressen nicht nur, sie schaffen auch die Grundlage für neues Leben. So transportieren sie in ihrem Fell, im Kot und in den Hufen Pflanzensamen, Schnecken, Insekten und sogar kleine Tiere wie Eidechsen und tragen somit dazu bei, die Pflanzen- und Artenvielfalt zu erhalten. In Brandenburg beispielsweise haben Weideschafe dabei geholfen, den Bestand des Wiesenknopfs zu sichern, eine Pflanze, die seltenen Faltern als Futter dient.
Wanderschäfer: Ein bedrohter Beruf erfindet sich neu
Viele Wanderschäfer wie Herrn Kucznik gibt es nicht mehr. „Die Welt ändert sich“, gibt er zu bedenken. „Alles muss sauber sein, die Menschen haben für so einen archaischen Beruf nur noch wenig Verständnis. Natürlich gibt es die positiven Reaktionen, wenn ich in Berlin einmarschiere mit meiner Herde, steigen die Leute auch schon mal aus dem Auto und klatschen. Aber man hat immer auch diejenigen, die sich gestört fühlen und einen sogar anzeigen.“ Der Beruf müsse sich neu erfinden, sagt Herr Kucznik. „Wir Schäfer haben uns schon immer neu erfunden und dürfen die Augen nicht verschließen vor den Veränderungen unserer Zeit. Nur so können wir weiterbestehen.“
Die Natur braucht die Schäfer
Durch Aktionen wie die Beweidung von Baugrund eröffnen sich für Wanderschäfer zusätzliche Einnahmequellen, die ihnen beim Überleben helfen. „Die Natur braucht uns“, gibt Schäfer Kucznik zu bedenken, „gerade in den Städten. Eine Wiese in der Stadt ist wie eine Insel im Meer. Da gibt es keinen natürlichen Austausch mehr. Die einzige Chance, diesen Austausch zu schaffen, ist, dass eine Schafherde vorbeikommt. Und wenn man diesen Austausch unterbindet, müssen wir uns nicht wundern, dass es weniger Insekten gibt und weniger Pflanzenvielfalt.“ Dass diese Vielfalt nicht verschwindet, ist Herrn Kuczniks Anliegen.
„Nicht immer ist etwas Altes etwas Rückschrittliches. Manchmal ist das Alte auch etwas Zukunftsweisendes,“ sagt er zum Schluss unseres Gesprächs. Er ist zuversichtlich, dass der Schäferberuf auch in Zukunft noch existieren wird, wenn sich die Menschen auf diese tradtionelle Form der Landschaftspflege zurückbesinnen. „Und wenn ich mir die Menschen anschaue, wie sie sich in Köpenick meine Tiere angeguckt haben, dann habe ich ein gutes Gefühl.“