Selbst nachts bleibt es in Deutschland oft viel zu hell – in Städten und sogar auf dem Land. Lichtverschmutzung beeinträchtigt die Umwelt und unser Wohlbefinden. Die Künstlerin Alona Rodeh, die seit Jahren im Brunnenviertel lebt, hat eine kreative Lösung entwickelt: Mit ihren „Nightcaps“ verziert sie Straßenlaternen und reduziert gleichzeitig die Lichtverschmutzung.
Im Brunnenviertel im Berliner Stadtteil Wedding haben kreative „Bewohner“ Einzug gehalten: „The Curly Girl Next Door“, „The Voyager“ und „The Jockey“ schmücken nun die kugelrunden Straßenlaternen im degewo-Kiez. Die fantasievollen Kappen verleihen dem Viertel auf subtile Weise einen neuen Charme – es wird zwar dunkler, aber nicht düster; stattdessen entsteht eine wohnliche und gemütliche Atmosphäre. Das Gefühl eines lebenswerten Zuhauses für unsere Mietenden soll sich nicht nur auf die eigenen vier Wände beschränken, sondern auch auf die unmittelbare Nachbarschaft ausstrahlen – in sanftem, gedimmtem Licht.
Gemeinsam mit der Künstlerin Alona Rodeh haben wir dieses Ziel auf inspirierende und nachhaltige Weise verwirklicht. Vor der Fertigstellung der Installation hatten wir die Gelegenheit, mit ihr durch das Brunnenviertel zu spazieren.
degewo | Frau Rodeh, Sie sind die Künstlerin hinter dem Projekt „Nightcaps“, das sich mit der Problematik der Lichtverschmutzung beschäftigt. Wie kamen Sie auf die Idee, sich diesem Thema künstlerisch zu widmen?
Alona Rodeh | Die Idee entstand aus meiner langjährigen Beschäftigung mit Licht im öffentlichen Raum und seinen Auswirkungen. Ich komme aus einem Land, das sehr stark beleuchtet ist, und war überrascht, wie dunkel die Straßen in Berlin sind. Von dort aus begann ich, die dunkelsten Orte der Stadt zu suchen. So wurde das Thema Lichtverschmutzung ein zentraler Bestandteil meiner Arbeit und meines Schaffens. Lichtverschmutzung ist die am wenigsten beachtete Form der Verschmutzung. Sie betrifft Menschen und Tiere langfristig – von Schlafstörungen bis hin zur Beeinträchtigung der städtischen Biodiversität. Da ich im Brunnenviertel lebe, fielen mir die kugelförmigen Straßenlaternen auf, die in alle Richtungen strahlen. Das brachte mich auf die Idee, eine Lösung zu finden, die sowohl funktional als auch künstlerisch ist.
Bevor wir zu den Nightcaps kommen – was gefällt Ihnen am Brunnenviertel besonders?
Das Brunnenviertel ist ein besonderes Viertel: Menschen, die hier nicht leben, kennen es oft nicht, was zu seinem Charme beiträgt. Mit viel sozialem Wohnungsbau und großen Schulen ist der Kiez sehr familienfreundlich. Und er hat überdurchschnittlich viele öffentliche Räume, darunter viele Grünflächen und öffentliche Spielplätze. Ein weiterer Grund, warum ich es liebe, im Brunnenviertel zu leben, ist die Vielfalt. Als Immigrantin fühle ich mich in diesem kulturell gemischten Umfeld zu Hause.
Können Sie uns etwas mehr über die „Nightcaps“ erzählen? Was genau sind sie und wie funktionieren sie?
„Nightcaps“ sind Skulpturen, die wie Kappen auf den Straßenlaternen sitzen. Sie bestehen aus recyceltem Kunststoff und werden im 3D-Druckverfahren hergestellt. Sie sorgen dafür, dass das Licht nicht in alle Richtungen abstrahlt, sondern gezielt nach unten gelenkt wird. Auf diese Weise wird die Lichtverschmutzung reduziert, ohne dass die Straßenbeleuchtung komplett abgeschaltet werden muss. Gleichzeitig haben die Nightcaps einen künstlerischen Wert, da sie spielerisch und kulturell vielfältig gestaltet sind.
Wo konnten Sie das Projekt zuerst realisieren, und wie kam es zu der Zusammenarbeit mit degewo im Brunnenviertel?
Meine ersten „Nightcaps“ habe ich 2021 in Stuttgart installiert. Für Berlin suchte ich nach einem Partner und wandte mich zusammen mit meiner Produktionspartnerin Mascha Fehse an degewo, die hier im Brunnenviertel auch für die Straßenlampen zuständig ist. Glücklicherweise fand Tanja Boettcher, die Quartiersmanagerin von degewo, unsere Idee sofort spannend und unterstützte uns.
Wie wurde das Projekt im Brunnenviertel angenommen? Gibt es eine Einbindung der Anwohnerinnen und Anwohner?
Es ist mir sehr wichtig, dass die Menschen, die im Brunnenviertel leben, in den Gestaltungsprozess eingebunden werden. Sie sollten selbst mitentscheiden können, wie die „Nightcaps“ aussehen und welche kulturellen oder stilistischen Elemente sich darin widerspiegeln. Wir haben Fragebögen verteilt, damit die Bewohnerinnen und Bewohner ihre Wünsche äußern konnten. Besonders beliebt waren zum Beispiel Kappen aus der Skater- und Rap-Szene, aber es gab auch viele Ideen zu Hüten oder Kopftüchern. Gerne hätten wir die Bewohner des Kiezes noch stärker in den Prozess eingebunden. Wenn wir eine weitere Runde machen könnten, würden wir gerne mehr Workshops anbieten, um Kindern und älteren Menschen das Thema Lichtverschmutzung näherzubringen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre eigenen „Nightcaps“ zu entwerfen.
Einige der „Nightcaps“ tragen interessante Namen wie die Kräuterfrau oder „Extra Hot“. Können Sie uns mehr über den Hintergrund und die Inspirationen für diese Designs erzählen?
Es ist schön zu sehen, wie Kunst und Design dazu beitragen können, den öffentlichen Raum lebendiger zu gestalten. Die Kappen sollen eine Verbindung zwischen den Menschen und ihrer Nachbarschaft herstellen. Die Kräuterfrau steht zum Beispiel in einem grünen Hinterhof, nahe dem Gemeinschaftsgarten. „Extra Hot“ symbolisiert einen Basketballspieler, der sein Shirt um den Kopf gewickelt hat, weil er ins Schwitzen kommt – inspiriert von den Basketballspielern im benachbarten Mauerpark. Und dann gibt es noch „The Voyager“, der in einem dicht bewachsenen Hinterhof steht, der mich an einen Dschungel erinnert. Er repräsentiert die Reise, die man in Berlin ständig macht – sei es durch die verschiedenen Kieze oder die ständige Veränderung der Stadt.
Wie viele „Nightcaps“ sind bisher installiert, und was sind Ihre Pläne für die Zukunft?
Im Oktober haben wir zunächst 10 „Nightcaps“ an verschiedenen Orten im Brunnenviertel installiert. Zukünftig möchte ich auch „Nightwalks“ anbieten – moderierte Touren, bei denen die Menschen die Skulpturen bei Nacht entdecken können. So lässt sich der Effekt der „Nightcaps“ besonders gut erleben.
Gemeinsam Berlin lebenswert gestalten
Zusammen mit Menschen wie Alona Rodeh verbessern wir die Lebensqualität in unseren Quartieren und gestalten eine lebendige Gemeinschaft. Auf unserem Blog lernen Sie mehr Berliner Stadtgestalterinnen und Stadtgestalter kennen.
Wie sehen Sie die Zukunft der urbanen Beleuchtung?
Ich glaube, dass die Zukunft in einer gezielteren und umweltfreundlicheren Beleuchtung liegt. Städte wie Berlin machen bereits Fortschritte, indem sie energieeffizientere und insektenfreundlichere Lampen einsetzen. Aber es geht nicht nur darum, welche Technologie wir nutzen, sondern auch darum, wie viel Licht wir wirklich brauchen. Weniger ist oft mehr – für unsere Gesundheit, für die Tiere und für den Planeten.
Vielen Dank für das Gespräch!
Kooperationen mit Partnern wie Alona Rodeh verdeutlichen unseren Antrieb, den Menschen ein Zuhause zum Wohlfühlen zu geben. Die „Nightcaps“ tragen nicht nur zur Kunst im öffentlichen Raum bei und stärken die Identität des Stadtteils, sondern helfen auch, Lichtverschmutzung zu reduzieren und somit die Nachhaltigkeit zu fördern. Momentan prüfen wir, ob wir im kommenden Jahr weitere Straßenlaternen im Brunnenviertel mit Nightcaps ausstatten können.