Mann steht umgeben von vielen Pflanzen.
Interview
Engagement | Nachbarschaft

"Ein guter Hauswart macht den Sozialarbeiter überflüssig!"

Dorthe March . Artikel aus dem degewo-Magazin stadtleben 3/2017

Psychisch kranke Menschen haben oft Probleme, eine Wohnung zu finden. Der Verband „IRRE gut Wohnen für alle“ kämpft dagegen an. Peter Seifert-Bewer erklärt im Interview, warum.

Herr Seifert-Bewer, „IRRE gut Wohnen für alle“ – was heißt das eigentlich?
Peter Seifert-Bewer: Der Wohnungsmarkt in Berlin ist mehr als angespannt. Vermieter können sich mehr oder weniger aussuchen, wer bei ihnen einzieht – und das sind nicht zu allererst Menschen, die psychosozial betreut werden. Psychisch Erkrankte oder Menschen mit einer geistigen Behinderung, die vielleicht als irre abgetan werden, haben aber genauso ein Recht auf weitestgehend selbstbestimmtes Wohnen wie Gesunde und Menschen ohne Behinderung. Für diese Menschen aus unseren Bezirken setzen wir uns ein, indem wir den Kontakt zu Vertretern der Wohnungswirtschaft suchen.

Welche Befürchtungen und Probleme haben die Vermieter?
Alle Vermieter berichten von den gleichen Schwierigkeiten. Das sind insbesondere Mietrückstände und verwahrloste Wohnungen bis hin zur Substanzschädigung. Denn es gibt zum Beispiel Menschen mit einer Angst- oder Zwangserkrankung, die im schlimmsten Fall – Stichwort Sammelwut, die sogenannten Messies – die Statik eines Mietshauses gefährden, da sich, im wahrsten Sinne des Wortes, die Balken biegen unter der Last von Sammelware oder Müll. Häufig ist das Problem aber auch weniger konkret: Eine Mieterin oder ein Mieter mit einer psychischen Auffälligkeit stört regelmäßig den Frieden im Haus.

Wie können Sie da helfen?
Die Nachbarn wenden sich zuerst an den Vermieter, bei großen Wohnungsunternehmen an die Kundenzentren. Deren Mitarbeiter schulen wir in Fortbildungen und widmen uns ganz individuellen Problemen wie dem Umgang mit schwierigen Personen, die etwa eine Psychose haben oder suchtkrank sind.

Wie viel Wohnraum fehlt?
Allein hier in Tempelhof-Schöneberg fehlen 250 Wohnungen für Menschen, die allein wohnen können und wollen, aber keine Wohnung bekommen. Wer nicht aus einer Einrichtung ausziehen kann, verstopft das System – Menschen, die diesen Platz akut brauchen, können nicht nachrücken. Obendrein haben wir 1.500 Wohnungslose im Bezirk, sie fallen direkt aus dem System der Eingliederungshilfe, und wir können nichts mehr tun. Wohnungslosigkeit zu verhindern, ist unser höchstes Ziel.

Gibt es außerhalb von Tempelhof-Schöneberg entsprechende Wohnungen?
Der Wohnungsmarkt ist überall in Berlin prekär. Und selbst wenn in Reinickendorf oder Treptow-Köpenick Wohnungen frei wären: Ein psychisch erkrankter Mensch braucht seinen Kiez wahrscheinlich noch viel mehr als ein gesunder. Seine Kontakte und sein medizinisches Versorgungsnetzwerk sind immens wichtig. Wir brauchen in jedem Bezirk kooperative Partner aus der Wohnungswirtschaft.

Was erleben Sie im Kiez?
Ich bin immer wieder bewegt davon, wie viele Menschen sich um ihre Nachbarn und die Typen im Kiez sorgen und kümmern. Ein guter Hauswart macht den Sozialarbeiter überflüssig – jemand, der um die Schwächen und Nöte des jungen Mannes aus der Erdgeschosswohnung weiß und ein freundliches Wort oder eine praktische Hilfestellung leistet.

IRRE GUT WOHNEN

Unter dem Dach von „IRRE gut Wohnen für alle“ schaffen zwölf Organisationen Möglichkeiten zum Austausch und zur Zusammenarbeit mit der Wohnungswirtschaft im Bezirk Tempelhof-Schöneberg.

Zudem teilen die Verbandsmitglieder ihr Wissen und ihre Erfahrungen mit Vermietern, die ihren Umgang mit erkrankten Mietern professionalisieren möchten.